Warschau war ein Meilenstein
03.07.2006: In Warschau hat sich am 10. Juni ein Traum erfüllt. Lesben und Schwule aus Polen und ganz Europa trotzten der von der polnischen Regierung angefachten Homophobie. Sie gingen zu zehntausenden auf die Straße.
Erfreulich war der Zuspruch der Bevölkerung am Rande. Viele schlossen sich dem Zug an. Die rechten GegendemonstrantInnen von der "allpolnischen Jugend" blieben in der Minderheit. Die wenigen Versuche, die Gleichheitsparade zu stören, wurden von der gutorganisierten Polizei sofort unterbunden.
Noch wenige Tage vorher war mit solch einem Erfolg nicht zu rechnen. Die Menschen- und Bürgerrechte haben sich in Polen für Lesben und Schwule seit der Regierungsübernahme Lech Kaczynskis drastisch verschlechtert. Der Vizevorsitzende der polnischen Regierungspartei "Liga Polnischer Familie (LPR)", Wierzejski, hatte öffentlich gedroht, DemonstrantInnen, auch deutsche Politiker, sollten Knüppel "schmecken". Doch nachdem die Bilder vom blutenden Volker Beck (parlamentarischer Geschäftsführer von Bündnis 90/Grünen im Bundestag) aus Moskau um die Welt gegangen waren, besann sich die polnische Regierung wohl doch eines Besseren.
Der Einfluss der Moskauer Ereignisse
Der Moskauer CSD war verboten worden, begleitet von wüster Polemik des Moskauer Bürgermeisters Luschkow. Stattdessen fand ein Gang von Lesben und Schwulen zum Grab des unbekannten Soldaten statt. Wie andere internationale Aktivisten wurde Beck dabei verletzt und hinterher stundenlang von der Polizei festgehalten. In Berlin formierte sich dagegen ein breiter Protest, der am 2. Juni mit einer Kundgebung vor der russischen Botschaft seinen Höhepunkt fand. Da blieb der Russlandbeauftragte der CDU, Schockenhoff, mit seiner Meinung, Beck hätte der verbotenen Demonstration fernbleiben sollen, ziemlich isoliert.
Nach den Moskauer Ereignissen und den Ausschreitungen gegen den Krakauer CSD im April schrieb ich Bundeskanzlerin Merkel einen Brief, in dem ich sie zu deutlichen Signalen in Richtung Russland und Polen zur Wahrung der Menschenrechte aufforderte. Die Kanzlerin ließ antworten, die Bundesregierung habe gegenüber der polnischen Regierung "die Bedeutung der Sicherheit aller Teilnehmer unterstrichen". Die polnische Regierung habe versichert, "dieser Frage besondere Aufmerksamkeit zu schenken."
Mit Solidarität zum Erfolg
Tatsächlich wurde die Gleichheitsparade in Warschau erlaubt und die Gegendemonstration der regierungsnahen allpolnischen Jugend abgesagt. Mit der Folge, dass Polizei und Wachschützer nun die allpolnische Jugend mit Knüppeln von Störungen abhalten musste. Es kam allerdings zu einem unerfreulichen Zwischenfall. Der Berliner René K. wurde bei einem Gerangel um ein Transparent der Gegnerseite festgenommen. Ihm wird Widerstand bei der Festnahme vorgeworfen. Bis heute befindet er sich in Untersuchungshaft, und es dauerte wohl eine Woche, bis er Kontakt zu seinem Anwalt bekam.
Alles in allem aber war dies ein großer Tag für die Lesben- und Schwulenbewegung in Polen, aber auch für die Bürger- und Menschenrechte in Europa insgesamt. Von deutscher Seite hat die Unterstützung durch den WarschauerPakt2006, getragen von Thomas Herrmanns, Georg Uecker, Holger Wicht und vielen anderen dazu ebenso beigetragen wie die Solidarität quer durch alle Parteien bis hin zur autonomen Szene. Die Anwesenheit politischer Bundesprominenz (die bündnisgrünen Volker Beck, Claudia Roth, Renate Künast) trug sicher auch dazu bei, dass die Sicherheitsmaßnahmen für alle erhöht wurden.
Am Abend feierten die polnischen Lesben und Schwulen gemeinsam mit den Gästen eine riesige Party, die auch dank der Spendengelder des WarschauerPaktes2006 ermöglichst wurde. Die Szene tanzte ausgelassen zu Jimmy Somerville, den ich noch nie so gut erlebt habe. Aber der Hauptstar des Abends war Tomasz Baczkowski, der Organisator der Gleichheitsparade. Alle polnischen AktivistInnen schwebten an diesem Abend auf Wolke sieben. Die folgenden Tage gastierten die Filme des Teddy in Warschau.
Protest muss weitergehen
Wie geht es nun weiter? Die polnische Regierung ist weiter im Amt. Der polnische Bildungsminister Roman Giertych (LPR) hat vor kurzem den Leiter des zentralen Lehrer-Fortbildungszentrums entlassen, weil er Broschüren der EU verwendet hat, in denen Treffen von Schulen und Homosexuellen-Organisationen angeregt wurden. Auch dies nahm das Europäische Parlament zum Anlass, erneut eine scharfe Resolution gegen Homophobie und Rassismus zu verabschieden. Doch es muss mehr geschehen. Die Regierungschefs müssen nicht nur in freundlichen Noten, sondern in Taten zum Ausdruck bringen, dass ein solches Verhalten innerhalb der EU nicht zu dulden ist. Berlin sollte seine Möglichkeiten als Partnerstadt von Warschau nutzen, um hier klare Signale zu setzen, die über kritische Worte bei Szeneveranstaltungen hinaus gehen. Wir werden jedenfalls den engen Kontakt zu unseren polnischen FreundInnen halten. Sicher ist: Nächstes Jahr fahren wir wieder hin.
Thomas Birk, lesben- und schwulenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus
Erschienen im Tempelhof-Schöneberger Stichel, Juli 2006
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