Nachruf auf Annette Schwarzenau
05.12.2009: Stachlige Argumente, Ausgabe 4/2009
Wir trauern um Annette Schwarzenau
Am 3. November ist Annette Schwarzenau im Alter von 66 Jahren gestorben. "Ich bin dann mal weg" schrieb sie in ihrer selbstverfassten Todesanzeige. Und tröstet uns mit der Botschaft: "Ich habe soviel gelebt und erlebt, dass für mich das Sterben keine Katastrophe ist."
Tatsächlich war Annettes Leben so ereignisreich, dass hier nur ein kursorischer Rückblick möglich ist. Aufgewachsen in Westfalen, arbeitete sie als Krankenschwester in Tübingen und stieß dort auf die AktivistInnen des SDS. 1968 zog sie nach Berlin, mischte sich begeistert in die Unruhen, engagierte sich in der ÖTV und wurde Personalrätin im damaligen Krankenhaus Wilmersdorf. Sie organisierte ein "Kinderkacke-Attentat" auf das Berliner Pressehaus, nachdem der Stern über Kinderläden hergezogen hatte. Nach drei Jahren Aufenthalt in Hamburg, wo sie sich in der GAL und beruflich für eine bessere Pflege engagierte, kam 1985 der Ruf zurück nach Berlin. Annette wurde Charlottenburgs erste grüne Gesundheitsstadträtin und blieb es (später auch für Umwelt) bis 1995. Sie prägte dabei einen neuen, auf Prävention ausgerichteten Gesundheitsbegriff. "Wer nur verwalten will, der sollte nicht Stadtrat werden", schrieb sie später über diese Zeit. Nach Tschernobyl ließ sie Trockenmilch für die Kitas aus den Notfalldepots plündern. Als Ideenwerkstatt richtete sie die erste Plan- und Leitstelle ein. Charlottenburg wurde erster Bezirk im "Gesunde Städte-Netzwerk". Sie eröffnete das "Haus des Säuglings". Sie startete das Projekt "4 Wochen ohne Auto" und einen Minimüll-Wettbewerb für den Einzelhandel. Sie förderte innovative Konzepte der Aidsprävention, Drogenpolitik und psychiatrischen Versorgung. Sie initiierte die erste Altenberatungsstelle, Vorläuferin der "Koordinierungsstellen Rund ums Alter" und machte aus dem Max-Bürger-Zentrum einen modernen Geriatriestandort.
Nach ihrer Zeit als Stadträtin engagierte sie sich parteipolitisch in ihrem Wohnbezirk Schöneberg und in der LAG Gesundheit. Sie ließ sich in den Seniorenbeirat wählen, um für eine alternative Altenarbeit zu streiten.
Ihre besondere Liebe galt Menschen mit Demenz. 2001 bis 2008 war sie Vorsitzende des Vereins für selbstbestimmtes Wohnen im Alter (SWA), der sich die Qualitätssicherung von Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz zum Ziel gesetzt hat. Sie wurde gefragte Expertin für diese Wohnform bundesweit.
Annette war eine außerordentliche Persönlichkeit. Jedes Gespräch mit ihr war ein Erlebnis. Wunderbar ihre Erzählungen aus der APO-Zeit, gespickt mit Humor und Selbstironie, nachzulesen in Ute Kätzels "Die 68erinnen". Ihre Warmherzigkeit, ihr Mut und ihr Einfallsreichtum steckten an und nahmen ein.
Mit ihrer Krebserkrankung ging sie offen um. Annette Schwarzenau, die sich immer für alte Menschen eingesetzt hatte, durfte selbst nicht alt werden. Wir trauern um Annette mit ihrem Mann Heinz Kappei und ihrem Sohn Philipp und bleiben ihr mit tiefem Dank verbunden.
Thomas Birk, MdA und 2. Vorsitzender des Vereins für selbstbestimmtes Wohnen im Alter