Rede zum Antrag "Musikschulen und Volkshochschulen sichern - Arbeitsbedingungen der Honorarkräfte an Musikschulen und Volkshochschulen verbessern"
20.09.2012: Gehalten am 13.09.2012 auf der 17. Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses.
Thomas Birk (GRÜNE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, es ist spät, und Sie warten schon lange auf das Ende des heutigen Plenartags, aber diese Reden müssen gehalten werden, denn Volkshochschulen und Musikschulen warten auch schon sehr lange auf die Lösung ihrer Probleme und sind zu Recht stocksauer.
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]
In Sonntagsreden stehen lebenslanges Lernen und kulturelle und musikalische Bildung ganz hoch im Kurs. Bei Veranstaltungen hören Sie alle gerne die Musikschulorchester, und Berlin rühmt sich zu Recht der vielen Preise bei "Jugend musiziert". Volkshochschulen sind unverzichtbare Bildungseinrichtungen z. B. für die Integrations- und Sprachekurse und die berufliche Bildung. Wie die Rahmenbedingungen für die Musik- und Volkshochschulschülerinnen und -schüler und die Dozentinnen und Dozenten aussehen, war der Mehrheit in diesem Haus und dem Senat leider lange Zeit herzlich egal, und das muss sich endlich ändern.
[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]
Mehr als 10 000 Menschen stehen auf der Warteliste der Musikschulen. In keiner anderen deutschen Großstadt gibt es das beschämende Verhältnis von 10 Prozent Fest-angestellten und 90 Prozent Honorarkräften an Musikschulen. Eigentlich sollte es tendenziell umgekehrt sein. Das feste Personal an Musikschulen und Volkshochschulen wird weiter abgebaut und reicht nicht mal mehr für die wichtigsten Leitungsfunktionen. Die prekäre Situation der arbeitnehmerähnlichen Honorarkräfte ist unzumutbar. Viele von ihnen arbeiten mit mehreren Diplomen in der Tasche Vollzeit für 1 000 bis 1 200 Euro netto. Auf sie wartet bestenfalls die Grundsicherung. Die Deutsche Rentenversicherung beklagte letztes Jahr im März Scheinselbstständigkeit als Regel an Berliner Musikschulen. Als Abhilfe wurde ein Bürokratiemonster als neue Ausführungsvorschrift geschaffen, das die Situation der Musikschullehrerinnen und -lehrer verschlechtert und aus unserer Sicht keine Rechtssicherheit gibt. All das wollen die Betroffenen und wir als Opposition nicht länger hinnehmen - und deswegen dieser gemeinsame Antrag.
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]
Er wurde in ähnlicher Fassung - übrigens in mehreren Bezirken - gestellt, und zwar auch mit Stimmen von SPD und CDU. Auch wir haben der Koalition angeboten, zu einem Allparteienantrag zu kommen. Das wurde leider abgelehnt. So stehen zunächst Grüne, Linke und Piraten darunter, aber wir appellieren an die Koalition: Bewegen Sie sich endlich!
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]
Denn seit 2009 liegt ein Abschlussbericht der vom Senat eingesetzten Kommission zu den Berliner Volkshochschulen und Musikschulen vor. Obwohl es dazu nie eine offizielle Mitteilung an dieses Haus gab, wurde er in zwei Anhörungen von allen Fachleuten als wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung begrüßt, um wenigstens ein Basisangebot zu sichern und die Leitungsfunktionsstellen gerecht zu besetzen und zu verteilen. Der rot-rote Senat hat die Ergebnisse trotzdem bis kurz vor der Wahl ignoriert. Der rot-schwarze Senat kündigte nebulös eine Arbeitsgruppe dazu an, was die Beteiligten aufstöhnen ließ, denn es saßen ja alle relevanten Berliner Institutionen in der Kommission am Tisch. Darum sparen Sie sich weitere Umwege und handeln Sie jetzt! [Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN - Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN] Wenn alle Einzelelemente des Kommissionsberichts schrittweise innerhalb von fünf bis sechs Jahren umgesetzt würden, würde das bestenfalls am Ende einen Aufwuchs von 4 Millionen Euro jährlich bedeuten. Umgerechnet auf die Mehrkosten zum Flughafen könnte also zu heutigen Preisen 111 Jahre lang die Basis für Volkshochschulen und Musikschulen abgesichert werden.
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]
Doch statt für Bildung wird dies Geld für die Fehlplanung bei Brandschutz und Technik beim BER verbrannt, und so was empört die Berlinerinnen und Berliner zu Recht.
Das ist auch empörend, wenn wir uns dem zweiten Teil des Antrags zuwenden. Seit Jahren fordern die arbeit-nehmerähnlichen Honorarkräfte an Volkshochschulen und Musikschulen Tarifverträge, um ihre prekäre Situation endlich etwas erträglicher zu machen. Diese Forderung unterstützen auch wir. Es kann nicht angehen, dass Volkshochschuldozentinnen und -dozenten über Jahr-zehnte eingebunden in feste Kurrikula Integrationskurse geben und dann keinen Mutterschutz und keine Honorarfortzahlung im Krankheitsfall haben und als Vollzeitlehrkräfte weniger als die Hälfte als angestellte Lehrerinnen und Lehrer verdienen, von Beamtinnen und Beamten gar nicht zu reden.
Vizepräsidentin Anja Schillhaneck:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kohlmeier?
Thomas Birk (GRÜNE):
Ja, gerne!
Vizepräsidentin Anja Schillhaneck:
Bitte, Herr Kohlmeier!
Sven Kohlmeier (SPD):
Herr Birk! Eine Nachfrage: Sie haben gerade die 444 Millionen für den Flughafen für die Musikschulen ausgegeben. Wofür soll denn das Geld noch ausgegeben werden? Ihre Fraktionskollegin Frau Pop hat das Geld heute Morgen auch schon ausgegeben.
[Beifall bei der SPD]
Thomas Birk (GRÜNE):
Ihnen ist wohl nichts zu peinlich. Ich glaube, Sie haben schon verstanden, dass es ein symbolisches Beispiel war.
[Beifall bei den PIRATEN - Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE)]
Die Honorarkräfte an Musikschulen waren bei Krankheit seit 1983 zwar bessergestellt, aber durch die neue Ausführungsvorschrift infolge der Mahnung durch die Rentenversicherung ist die Honorarfortzahlung bei Krankheit, die jetzt Ausfallhonorar heißt, weit komplizierter geworden. Die Bezahlung ist auch hier so beschämend niedrig, zumal diese Honorarkräfte nun auch noch das Ganztagsangebot durch Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen abdecken müssen. Deswegen sind die Honorarkräfte seit vielen Monaten auf der Straße, führen Protestveranstaltungen durch, sammeln Unterschriften und fordern Tarifverträge. Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten!
Vizepräsidentin Anja Schillhaneck:
Sie müssten bitte zum Schluss kommen.
Thomas Birk (GRÜNE):
Das Thema war ja auch am 1. Mai im Mittelpunkt der Abschlusskundgebung, und ich rate Ihnen zum Schluss: Es reicht nicht allein, rote Fahnen zu schwenken und prekäre Verhältnisse in der Privatwirtschaft zu beklagen. Sie müssen dann auch mal entsprechend im öffentlichen Dienst die Konsequenzen ziehen. Deswegen unterstützen Sie unseren Antrag, setzen Sie den Kommissionsbericht um, und führen Sie Tarifverträge für arbeitnehmerähnliche Honorarkräfte ein! - Vielen Dank!
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]