Zukunftsorientierte IT-Strategie für das Land Berlin mit Open- Source-Software

06.03.2013: Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat heute ihr Konzept für die Umstellung der Verwaltung auf Open-Source-Software vorgestellt.

1. Berlins IT-Systeme sind inkompatibel und unwirtschaftlich

Seit Jahren beklagt der Senat selbst die Heterogenität der Berliner IT-Landschaft. Die Vielfalt der Softwaresysteme zwischen den Verwaltungen und einzelnen IT-Fachverfahren verhindert die Interoperabilität für eine reibungslose Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den Behörden.

Dies wirkt sich in der Praxis aus wie das biblische Stimmengewirr beim Turmbau zu Babel, wobei die marktführenden Softwareanbieter mit ihren verschlüsselten Quellcodes auch noch die notwendigen "Wörterbücher" für die Übersetzung der verschiedenen "Computersprachen" verweigern. Schlimmer noch, alle paar Jahre wird die "Geheimsprache" der jeweiligen Anbieter gebührenpflichtig variiert. Wer nicht zahlt, kann nicht mal mehr die eigene Sprache verstehen. Diese Firmenstrategie verhindert den Aufbau einer gut funktionierenden digitalen Kommunikationsstruktur zwischen den Behörden und zwischen Behörden und den Bürgerinnen und Bürgern.

Und sie verschlingt unnötig öffentliche Gelder. Berlin hat in der Vergangenheit viele Millionen Euro in IT investiert, nur um Schnittstellen zwischen proprietären Systemen zu schaffen, die dann doch nicht einmal den erwarteten Nutzen brachten.

Die proprietären Anbieter bieten vermeintliche Servicesysteme aus einer Hand an, die dann letztlich zu einer noch größeren Abhängigkeit mit Folgekosten führen und mit anderen geschlossenen Systemen erst recht nicht kompatibel sind.

Ein Ausweg aus dem Teufelskreis

Ein Ausweg aus diesem Teufelskreis bietet Open-Source-Software mit unverschlüsselten, offenen Quellcodes. Obwohl 2004 das Abgeordnetenhaus die Prüfung zur Umstellung auf Open-Source-Software beschlossen hatte, ist ihm der Senat nicht gefolgt. Er hielt an dem oben beschriebenen Mischsystem fest und entschied sich aus vermeintlichen Wirtschaftlichkeitsaspekten von Fall zu Fall für proprietäre oder quelloffene Software.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat bereits 2007 einen Stufenplan zur Umstellung der Berliner IT-Landschaft auf Open-Source-Software vorgestellt. Dieser wurde 2008 bei einer Anhörung von allen Experten als richtiger Weg gelobt. Der neue Antrag aktualisiert und erweitert diese Vorschläge. Die Umsetzung würde die Berliner Verwaltung aus der Abhängigkeit von Anbietern proprietär-basierter Software befreien, die Schnittstellenfähigkeit zwischen den Verwaltungen erhöhen und mehr strategische Freiheit bei der Entwicklung einer standardisierten IT-Landschaft bieten. Die Grundsatzentscheidung muss jetzt fallen Die Einbringung des Antrags zum jetzigen Zeitpunkt ist bewusst gewählt. Die Haushaltsberatungen für den Doppelhaushalt 2014/15 stehen bevor. Der Senat plant die Harmonisierung der IT-Landschaft, die Standardisierung der IT-Arbeitsplätze und die Einführung der eAkte für die Hälfte aller IT-Arbeitsplätze in der Berliner Verwaltung. Der Support für Windows XP läuft im April 2014 aus und viele Verwaltungen stehen vor der Frage: Relaunch mit Microsoft oder Wechsel zu Open-Source-Software?

2. Was heißt Open Source?

Open-Source-Software zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Quellcodes offen sind. Eine Open- Source-Lizenz ist gebührenfrei und produktneutral. Open Source Software kann somit benutzerorientiert weiterentwickelt werden. Bei proprietärer Software (z. B. von Microsoft) sind dagegen die Quellcodes geheim, sie bindet den Nutzer an bestimmte Produkte eines Herstellers. Die Lizenzen sind gebührenpflichtig: Die Programme werden ständig mit Updates versehen, und es werden regelmäßig neue Generationen auf den Markt gebracht, die dem Benutzer den Zeitplan zur Erneuerung mit den verbundenen Kosten aufzwingen. Allerdings: Open Source ist nicht kostenfrei. Zunächst werden unter Umständen sogar mehr Kosten für Beratung, Weiterentwicklung und Schulung fällig. Langfristig spart der Nutzer allerdings erheblich, weil keine Lizenzgebühren mehr anfallen.

3. Welche Vorteile hätte die Umstellung auf Open Source für die Berliner Verwaltung?

IT-Investitionsstau beseitigen - IT-Landschaft harmonisieren

Berlin steht vor einem enormen Investitionsstau im IT-Bereich. Für die überfälligen ITAnschaffungen muss sich das Land entscheiden, ob es auf eine neue Windows-Generation umstellen will, verbunden mit den entsprechenden Lizenzen, oder ob es den wirklich offenen Weg hin zu Open-Source-Produkten gehen will. Der Senat hat angekündigt, bis spätestens zum Herbst seine Pläne für eine ganzheitliche ITStrategie vorzulegen. Eine Harmonisierung der IT-Landschaft mit standardisierten IT-Arbeitsplätzen und Fachverfahren setzt unseres Erachtens eine klare Richtungsentscheidung für Open-Source-Software voraus.

Stärkung der Unabhängigkeit der Berliner Verwaltung

Mit der Möglichkeit, Open-Source-Software ziel- und nutzungsgerecht auf die Berliner Bedürfnisse hin weiterentwickeln zu können, würde die Verwaltung die strategische Hoheit über ihre Entscheidungen zurückerhalten.

Open Source hat eine Stärkung der regionalen Wertschöpfung zur Folge

Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen profitieren von Open Source. Dies könnte Softwarefirmen der Region zugutekommen und den Innovationsstandort Berlin stärken.

4. Gibt es eine IT-Strategie des Senats?

Seit zehn Jahren diskutiert Berlin über den Einsatz von Open-Source-Software in der Berliner Verwaltung. In der Praxis tritt der Senat jedoch auf der Stelle. Bisher ist Open Source vor allem im IT-Sicherheitsbereich und auf einigen Servern im Einsatz. Bei der Entscheidung für neue ITFachverfahren entschied bisher jeweils ein kurzfristiger Wirtschaftlichkeitsaspekt die Frage, ob eine proprietär-basierte oder ein open-source-basierte Lösung ausgewählt wurde. Unter dem früheren Senat aus SPD und Linken wurde dieses Mischkonzept verfolgt. Alle Versuche, dies zu ändern (zunächst von Bündnis 90/Die Grünen, später gemeinsam mit CDU und FDP), wurden abgewehrt.

Der Koalitionsvertrag von SPD und CDU

Der Koalitionsvertrag von SPD und CDU kündigte vollmundig an: "Die vielen unterschiedlichen IT-Systeme und IT-Lösungen im Land Berlin sind zu teuer und müssen vereinheitlicht werden. Hierfür wird bis zum Haushalt 2014/15 ein Gesamtkonzept für die Planung, Finanzierung, Einführung und Nutzung von IT-Systemen und Lösungen entwickelt (…)" Diese Ankündigung wurde durch neue Mitteilungen noch einmal unterstrichen. Es bleibt aber weiterhin unklar, ob diese klare strategische Ausrichtung Open-Source-basiert sein wird.

Positionen von SPD und CDU im Praxistest

Die SPD hatte sich am 27.10.2012 diesbezüglich auf ihrem Landesparteitag klar entschieden: "Eine moderne Verwaltung braucht eine moderne IT-Strategie, die den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft eine optimale Kommunikation mit den Behörden garantiert, dabei effektiv, kostengünstig, sicher und unabhängig ist. Darum verfolgt die SPD Berlin das langfristige Ziel, eine Umstellung auf freie Open Source Software für die Verwaltung durchzuführen, wie sie beispielsweise die Stadt München seit nun mehr zehn Jahren erfolgreich betreibt. (…) Die Interoperabilität ist gerade bei dezentralem IT-Betrieb von erheblicher Bedeutung; auch dies unterstreicht die Notwendigkeit offener Standards und die Vorteile von Open-Source-Lösungen."

Die CDU hat in Oppositionszeiten 2008 immerhin einen Antrag gestellt, wonach der Senat die Möglichkeiten zu einer schrittweisen Umstellung auf Open-Source-Software prüfen und mit einem konkreten Zeit- und Kostenplan unterlegen sollte. In der Begründung hieß es damals: "In einem solchen ‚Berliner Gutachten‘ soll der Senat einen konkreten Zeit- und Kostenplan vorlegen, um ein hohes Maß an Verbindlichkeit herzustellen und eine Umstellung auf Open- Source-Produkte in den kommenden Jahren sicherzustellen."

Man darf gespannt sein, ob diese Richtungsentscheidungen bei der anstehenden Verkündung der Senatslinie bestand haben werden. Da von einer Zustimmung der Opposition für eine Open-Source-Strategie auszugehen ist, bietet sich hier die Chance für einen Allparteienkonsens.

5. Wie sieht die grüne IT-Strategie aus?

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen knüpft an ihren 2007 vorgelegten Stufenplan zur Umstellung auf wirklich offene Systeme an und ergänzt und aktualisiert ihn wie folgt:

1. Bis 2018 sollen im Rahmen eines stufenweisen IT-Investitionsprogramms 25 Prozent der bis dahin standardisierten IT-Arbeitsplätze auf Open-Source-Software umgestellt werden.

2. Die Strategie ist auf die gesamte Berliner Verwaltung ausgerichtet, deswegen werden auch die nachgeordneten Einrichtungen und die Bezirke einbezogen. Um angesichts der zweistufigen Verwaltung und dem Prinzip der dezentralen Fach- und Ressourcenverantwortung eine Steuerung des Umstellungsprozesses sicherzustellen, sind ein Open-Source-Software-Kompetenzzentrum unter Beteiligung der Bezirke und landeseigenen Forschungseinrichtungen und eine Clearingstelle für Interoperabilitätsprobleme einzurichten. Zu deren Unterstützung werden jederzeit abrufbare, aktuelle Übersichten zur IT-Steuerung erstellt und im Internet veröffentlicht.

3. Wissenschaftliche Gutachten sollen Klarheit sowohl über die rechtlichen als auch die praktischen Rahmenbedingungen für die Beschaffung und die verstärkte Einführung von Open-Source-Software vor allem im Bereich der Server und IT-Fachverfahren herbeiführen und die Basis für entsprechende weiterführende Maßnahmenkataloge bilden.

4. Software-Lösungen, die für Berlin entwickelt werden, müssen auf freien Lizenzen basieren. Vorhandene Datenschnittstellen werden zu offenen Standards modifiziert. Zukünftig sollen nur noch Software-Programme mit offenen Datenschnittstellen zumEinsatz kommen.

5. Es werden einheitliche (Dokument-)vorlagen auf Basis von OpenDocument entwickelt und zentral der Berliner Verwaltung zur Verfügung gestellt.

6. Alle Server sollen Open-Source-basiert betrieben werden. Alternativ müssen Anbieter proprietärer Softwareprodukte die entsprechenden Programme oder ihre Programmschnittstellen gegenüber dem Systembetreiber im Land Berlin offen legen.

7. Bei Kostenvergleichsrechnungen für die Beschaffung von IT-Projekten sind immer die Folgen der Herstellerabhängigkeit zu berücksichtigen.

8. Durch ein allgemeines Schulungskonzept unter Berücksichtigung des demografischen Wandels und Schnupper-PCs mit Open-Source-Anwendungen soll die Akzeptanz bei den Beschäftigten gehoben werden.

9. Die konzeptionelle Zusammenarbeit mit den Berliner Forschungseinrichtungen, der ITWirtschaft und zivilgesellschaftlichen AkteurInnen aus NutzerInnen- und VerbraucherInnensicht ist zur Förderung von Open-Source-Software zu organisieren und intensivieren.

10.Über die Umsetzung wird in einem standardisierten Verfahren berichtet.

Berlin darf die Chance eines Umstiegs auf Open-Source-Software und damit den Einstieg in eine kompatible IT-Landschaft nicht verpassen. Die Umstellung auf Open-Source-Software als Basis für eine offene, freie, zukunftsfähige IT-Strategie ist für Bündnis 90/Die Grünen ein Kernpunkt moderner Netzpolitik.

Zugehörige Dateien:
20130305-PM-OSS-thb.pdfDownload (137 kb)
d17-0853OpenSource.pdfDownload (39 kb)
  • Seite bei Twitter teilen
  • Seite bei Facebook teilen
  • Via WhatsApp senden
Aktuell