Siegessäuleninterview: "Aufklärung und Prävention sind in der Szene unterausgestattet"

Thomas Birk (Bündnis90/Die Grünen) im Interview zu den Plänen des Senats für ein neues Aids-Präventionskonzept

SIS 24.12. - Berlin braucht mehr HIV-Prävention. Im Vergleich zu 2001 gab es in Berlin 2009 mehr als doppelt so viele HIV-Neudiagnosen. Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben, bilden mit 70 Prozent die größte Gruppe. Deshalb hatte der Senat im Oktober ein Rahmenkonzept zur Aids-Prävention beschlossen, jetzt folgte im Dezember ein Weiterentwicklungskonzept von Prof. Dr. Rolf Rosenbrock vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Potenziale für bessere Prävention sieht dieser etwa in einer stärkeren Einbindung von Szeneläden, sowie in der Gründung von HIV-kompetenten Checkpoints. Offen bleibt neben der Finanzierbarkeit bisher auch der genaue Zeitplan des Aktionsplans.

Siegessaeule.de befragte dazu Thomas Birk, Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus für Bündnis90/Die Grünen und Sprecher für Lesben- und Schwulenpolitik

SIS: Der Senat hat im Herbst ein Rahmenkonzept HIV/Aids beschlossen, inzwischen liegt ein Weiterentwicklungskonzept vor. Inwieweit erfüllen die Konzepte die Vorgaben des Abgeordnetenhauses von 2008?

Thomas Birk: Das Rahmenkonzept erfüllt die Vorgaben formal, bleibt aber unter dem Niveau dessen, was in Fachkreisen seit Jahren diskutiert wird. Das Entwicklungskonzept analysiert genau die Punkte, die nicht ausreichend abgestimmt sind, und bietet Vorschläge, welche neuen Schwerpunkte in der Prävention gesetzt werden können. Insofern ist es eine gute Grundlage.

Was in beiden Papieren fehlt, sind Angaben zur künftigen Finanzierung des Bereichs HIV und Aids. Wie zufrieden bist du mit dem Ergebnis?

Prof. Rosenbrocks Entwicklungskonzept benennt viele Defizite, wo es deutlich mehr Geld bräuchte. Wir wissen alle, dass die Finanzlage in Berlin begrenzt ist. Deshalb wird man sich anhand des Konzepts entscheiden müssen, welche dringendsten Probleme zu beheben sind. Meiner Ansicht nach ist das die Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), weil dort die Zahl der HIV-Infektionen am höchsten ist.

Im Bereich MSM ist Prävention auf einem hohen Level. Wo siehst du Defizite?

In der Ungleichverteilung von Mitteln in Vergleich zu den anderen Zielgruppen. Auch sind Aufklärung und Prävention in der Szene unterausgestattet. Die Schnelltests mit Beratung müssen gesichert werden und was ManCheck mit zweieinhalb Stellen vor Ort leistet, kann nicht ausreichen.

Schwule gelten doch als bestinformierte Zielgruppe!

Information allein reicht nicht. Das weiß jeder, der sich mit Safer Sex auseinandersetzt. Man braucht den Ort und die Möglichkeit, darüber zu reden. Daher sind Schnelltests mit Beratung eine gute Gelegenheit. Oder - anderes Setting - wenn Kondome verteilt werden, kann man mit den Leuten ins Gespräch kommen. Das ist noch immer das effektivste, aber auch personalintensiv.

Wie könnten sogenannte Sexbetriebe stärker in die Prävention einbezogen werden?

Einige Wirte machen bereits mit, es könnten viel mehr sein. Wichtig ist, dass etwa Kondome gut sichtbar zur Verfügung stehen. Werbung für Safer Sex sollte so positioniert werden, dass sie einladend und offensiv ist. Auch gilt es, das Bewusstsein der Wirte zu schärfen, damit sie darauf achten, dass auf Partys auch Safer Sex stattfindet.

Was hältst du von Rosenbrocks Vorschlag, vier HIV-Checkpoints in der Szene zu etablieren?

Das ist das von Mann-o-Meter seit Jahren praktizierte Modell. Die Vorstellung, solche Beratungszentren mittelfristig auch in Prenzlauer Berg oder Kreuzberg zu haben, finde ich nachvollziehbar. Das würde aber eine erhebliche Umverteilung der Mittel bedeuten.

Ist eine gründliche Analyse jetzt nicht sinnvoller als mögliche Schnellschüsse vor den Landtagswahlen 2011?

Rosenbrocks Papier bietet genug Möglichkeiten, kurzfristige Maßnahmen zu starten, etwa im Bildungsbereich. Richtig ist, dass vieles, was er vorschlägt, nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Was mich sehr ärgert, da die Erkenntnisse auch schon früher möglich gewesen wären. In der Legislaturperiode ist es versäumt worden, all die Defizite, die bekannt waren, zu beheben.

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