Versagen mit Ansage
14.12.2015: Der Kollaps der Berliner Verwaltung kann niemanden überraschen. Er war absehbar. Seit neun Jahren predigen wir Grünen, dass Berlin eine neue Aufgabenkritik braucht.
Eine entsprechende Kommission unter Wowereit tagte nach 2006 wenige Male ergebnislos, seither ist nichts passiert. Ohne irgendeine fundierte Begründung wurde das Ziel der 100.000 Vollzeitäquivalente ausgerufen. Besonders unsinnig dabei waren die 20.000 Vollzeitäquivalente in den Bezirken, die eine Personaleinsparung von 6,8 Prozent für diese bedeuteten.
Die Bezirke legten dazu notgedrungen Abbaupläne vor, die alle vom Hauptausschuss abgenickt wurden. Derselbe beklagt jetzt, dass die Bezirke von ihrem Recht Gebrauch machten, die Personalsparvorgaben ungleich auf die Ämter zu gewichten. Einzelne Bezirke haben tatsächlich bei den Bürgerämtern bis zu 25 Prozent Personal eingespart. Das verwundert nicht. Tempelhof-Schöneberg gehört zu diesen Bezirken. Da ist der SPD-Stadtrat nicht nur für Bürgerdienste zuständig, sondern auch für das Jugendamt. Auch in den Jugendämtern werden allerorts die weißen Fahnen der Überlastung gehisst. Soll so ein Stadtrat die Einsparvorgabe im Bezirksamtskollegium liefern, muss er eine Wahl treffen. Hätte er das Jugendamt entsprechend belastet, hätte das nicht nur massiven Schaden für Kinder und Jugendliche bedeutet. Er hätte sich selbst in Gefahr gebracht. Wird nämlich das nächste totgeprügelte oder verhungerte Kind in seinem Bezirk gefunden, steht die Staatsanwaltschaft vor der Tür und fragt, was das Amt hätte tun müssen, um das zu verhindern. Im Zweifel wird er haftbar gemacht.
Die angesichts der wachsenden Stadt den Bezirken zunächst befristet, jetzt teilweise unbefristet zugestandenen neuen Stellen werden wieder ohne eine echte Bedarfsprüfung nach dem Gießkannenprinzip ausgereicht. Aber auch sie werden - zusammen mit den viel zu wenigen Auszubildenden - das Problem nicht lösen.
Gleichzeitig hat der Senat in dieser Legislaturperiode keinerlei nennenswerte Fortschritte bei der Digitalisierung erzielt. Die E-Akte, die bis 2016 eigentlich für die Hälfte aller IT-Arbeitsplätze (das wären 34.000 gewesen) Wirklichkeit werden sollte, ist nun komplett auf die nächste Legislaturperiode für zunächst 2000 Arbeitsplätze verschoben. Die bereits 2009 vom Abgeordnetenhaus beschlossene, systematische Prozessanalyse und -angleichung von einzelnen Aufgaben liegt für gerade mal acht Prozesse vor. Aber - ohne Standardisierung der Prozesse ist keine Softwarefirma in der Lage, ein sinnvolles IT-Fachverfahren zu produzieren. Hier bleibt also Handlungsbedarf. Das Berliner E-Governmentgesetz lag sechs Jahre in der Mitzeichnung, bis es nun endlich im Herbst 2015 das Parlament erreichte. Doch was als echtes Steuerungsinstrument geplant war, ist ein zahnloser Tiger geworden. Damit werden sich kaum Fortschritte zur Digitalisierung der Berliner Verwaltung erzielen lassen.
Senat und Abgeordnetenhaus kommen nicht umhin, zusammen mit den Bezirken angesichts der wachsenden Stadt endlich die überfällige Aufgabenanalyse und -kritik vorzunehmen und darauf aufbauend ein Personalbedarfs- und -entwicklungskonzept zu beschließen. Dies muss mit einer realistischen E-Governmentstrategie mit kalkulierbaren Meilensteinen einhergehen. Auch diese Erkenntnis ist nicht neu. Aber alle dazu gefassten Beschlüsse der Koalitionsfraktionen und des Abgeordnetenhauses sind ergebnislos verpufft.
Ein Trauerspiel für Berlin ist, dass sich daran in dieser Legislaturperiode durch die heillos zerstrittene Koalition nichts mehr ändern wird. Der Wahlkampfhaushalt hat lediglich dazu beigetragen, diese Leerstelle mit Notpölsterchen hier und da zu überdecken. Bis sich nach der Wahl eine neue Koalition sortiert hat, vergeht wertvolle Zeit, in der Berlins Ruf weiter Schaden nehmen wird. Um so mehr sollten sich alle, die zur Wahl antreten, konkrete Gedanken machen, wie Berlins Verwaltung wieder handlungs- und leistungsfähig wird. Denn das wird hofffentlich wahlentscheidend sein.