Rede zur Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 aufgrund des § 175, 175 a StGB, 175 StGB StGB DDR, 151 StGB DDR
27.01.2012: Rede zum Antrag der Fraktion der Linken
Thomas Birk (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Tom Schreiber! Sie haben viel Richtiges gesagt, aber ich hätte mir doch eine konkretere Stellungnahme zum vorliegenden Antrag gewünscht. Sie haben jetzt von Entschädigung gesprochen, von Rehabilitation leider noch nicht. Ich hoffe, das ändert sich noch.
Denn bereits in den 80er- und 90er-Jahren hat der Europäische Gerichtshof für Menscherechte die Bestrafung einvernehmlicher homosexueller Handlungen unter Erwachsenen sowie die Festlegung unterschiedlicher strafrechtlicher Schutzaltersgrenzen für homo- und heterosexuelle Handlungen als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention eingestuft. Damit ist gerichtlich bestätigt, im Nachkriegsdeutschland wurden in beiden deutschen Staaten die Menschenrechte von Schwulen und bisexuellen Männern massiv verletzt. Und es ist hohe Zeit - Herr Lederer sagte es schon -, die Opfer dieser menschenrechtswidrigen Gesetzgebung endlich zu rehabilitieren und zu entschädigen.
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]
Insofern unterstützen wir selbstverständlich die von der Linken hier angestrebte Bundesratsinitiative zur Rehabilitierung und Entschädigung der nach den §§ 175, 175a Strafgesetzbuch bzw. Strafgesetzbuch DDR und § 151 Strafgesetzbuch DDR verurteilten Männer. Entsprechende Anträge hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bereits im Dezember 2008 und erneut im Dezember 2010 in den Bundestag eingebracht. Es besteht allerdings wenig Hoffnung, dass es unter der schwarz-gelben Bundesregierung zu einem solchen Gesetz kommen wird. Und das finden wir unerträglich.
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]
Ich appelliere umso mehr an die Kolleginnen und Kollegen der rot-schwarzen Koalition, ihren Koalitionsvertrag an dieser Stelle ernst zu nehmen und sich nicht wegzuducken vor dem Schicksal der Männer, denen durch diese gesetzliche Repression und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Ächtung das Recht auf Liebe und einem erfüllten Leben unwiederbringlich genommen wurde. Viele Schwule führten Scheinehen, in stetiger Angst, entdeckt zu werden und damit mehrjährige Gefängnisstrafen, die Ausgrenzung vom Berufs- und gesellschaftlichen Leben und den Verstoß durch die Familie durchleiden zu müssen. Somit war der Alptraum für homosexuelle Männer nach der Nazizeit keineswegs beendet.
§ 175 galt in Deutschland Ost bis 1950 und in West bis 1969 in der von den Nazis verschärften Form fort, nach der es nicht einmal einer körperlichen Berührung bedurfte, um verurteilt zu werden. Viele wanderten aus dem KZ geradewegs ins Zuchthaus. 1957 wurde der § 175 auch noch vom Bundesverfassungsgericht bestätigt mit so absurden Begründungen, dass sie heute nur noch Kopfschütteln und Schmunzeln hervorrufen, aber diese Zitate spare ich mir heute, weil mir die Sache einfach zu ernst ist.
Die gesellschaftliche Ächtung von schwulen Männern wirkte noch lange - auch mit dem entschärften § 175 Strafgesetzbuch und dem § 151 Strafgesetzbuch DDR - fort. Und es war noch ein langer Weg bis zur vollkommenen Abschaffung des § 175 im Jahr 1994. In der Bundesrepublik gab es über 100 000 Ermittlungsverfahren und über 60 000 Männer wurden nach diesen Paragrafen verurteilt. Leider sind viele von ihnen bereits verstorben. Die Überlebenden haben ein Anrecht, endlich ohne Vorstrafe alt zu werden und wenigstens symbolisch finanziell haftentschädigt zu werden.
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]
Meine Damen und Herren von der Union! Ich bin sehr gespannt auf Ihre Rede. Bringen Sie durch Ihre Hinhaltetaktik im Bundestag die nach 1945 verurteilten Männer nicht um ihr Menschenrecht, das ihnen ebenso zusteht, wie den während der Nazizeit Verurteilten! Schon die in der Nazizeit verfolgten Homosexuellen wurden erst zu einem Zeitpunkt rehabilitiert, als fast alle verstorben waren. Wir wollen einen Gesetzesbeschluss den nach 1945 Betroffenen nicht irgendwann aufs Grab legen, sondern die noch Lebenden erreichen.
Die im Antrag aufgestellte Forderung nach einem Dokumentations- und Forschungszentrum zur Verfolgung von Menschen aufgrund sexueller Orientierung sind wir nicht nur den Opfern schuldig, sondern gehört auch zur Aufarbeitung der Verstöße gegen und den Kampf um Menschenrechte am Beispiel von Lesben und Schwulen. Ich verstehe nur nicht, warum hier das Enddatum der Betrachtung auf 1969 beschränkt bleiben soll, denn der § 175 wurde, wie gesagt, erst 1994 aufgehoben. Und die DDR, das zeigte ja jüngst die Ausstellung "Verzaubert in Nord-Ost" im Pankower Heimatmuseum, ging auch ohne massive Anwendung ihres entsprechenden § 151 bis in die späten 80er-Jahre repressiv gegen offen lebende Lesben und Schwule vor. Hier werden wir also noch mit einem Änderungsantrag nachbessern müssen.
Ansonsten werbe ich hier noch einmal eindringlich dafür, dass wir hier fraktionsübergreifend zu einem möglichst einstimmigen Votum gelangen. Wir sind es den Betroffenen schuldig, und die Zeit drängt. - Vielen Dank!